Montag, 22. Dezember 2008

Weihnachten steht vor der Tür

TR/ Weihnachten steht vor der Tür. Es duftet nach Zimt und Lebkuchen, die letzten Plätzchen werden gebacken und das vierte Lichtlein am Adventskranz angezündet. Wir schlendern durch festlich erleuchten Gassen und hin zum Weihnachtsmarkt. Bei einem Glühwein wärmen wir uns auf. Leise rieselt der Schnee.

Barcelona? Nein, natürlich nicht! Ich habe nur versucht, meine Erinnerungen schweifen zu lassen an die Zeiten in Deutschland. Aber irgendwie gelingt es nicht so recht. Wie auch, bei 18 Grad und strahlend blauem Himmel? Mit der richtigen Weihnachtsstimmung müssen wir daher wohl noch bis Heilig Abend warten, bis wir wieder in der Heimat sind.

Immerhin, zum Glück haben wir etwas Nachhilfe in weihnachtlicher Atmosphäre bekommen: Für die kulinarischen Genüsse wie Christstollen, Spekulatius und Lebkuchen hat meine Mutter mit einem Geschenk-Päckchen zum 1. Advent gesorgt und ein paar Kerzen mussten wir neulich abends zwangsweise zünden, als plötzlich wieder einmal der Strom im ganzen Viertel ausfiel…

Habt Ihr dieses Jahr schon digitale Weihnachtsgrüsse erhalten? Der krabbelnde Nachwuchs oder alternativ die eigenen Haustiere, alles muss als Weihnachtsmann herhalten, wird verkleidet und abgelichtet. Da lassen wir uns nicht lumpen! Mangels Hund, Katze und Meerschwein müssen wir uns eben selber zum Affen machen ;-)

Samstag, 2. August 2008

Der große Abend - Tunesien Teil 3


TR - Genug der Touristenmassen in Sidi Bou Said. Zum Abendessen wollen wir wieder „unter uns“ sein, folgen dem einheimischen Tipp nach La Goulette zu fahren. Der Zug bringt uns in den kleinen Vorort, die Ausgehmeile der Hauptstädter. Wow, da kann sich Barcelona mal eine Scheibe abschneiden! Ein Straßenrestaurant folgt dem nächsten, überall wird frischer Fisch zu Spottpreisen angeboten. Nach verschiedenen tunesischen Amuse-Guelles und einer gegrillten Dorade genieße ich noch die beste Schoko-Crepe meines Lebens. Zum Verdauen trinken wir in einem riesigen Straßencafé von den Ausmaßen eines Biergartens frischen Minztee und bestellen eine Wasserpfeife mit Apfelgeschmack. Aromatisierter Tabak ist hier der Renner. Es ist schon drei Uhr nachts, doch ausser uns scheint hier noch niemand aufzubrechen.

In der nächsten Nacht wird weiter gefeiert. Es folgt Teil 3 der Hochzeit: die Zusammenführung von Frauen und Männern.
Der hupende Autokorso wird angeführt von einem schwarzen Amischlitten mit dem Brautpaar. Ein Traum von einer Braut steigt aus und auch Hedi ist kaum wieder zu erkennen. Die letzten Abende war Hedi, ganz nach Tradition, unrasiert mit struppigen Haaren und in Jeans und T-shirt aufgetaucht. Heute dann – welch Kontrast! So schick und elegant, frisch vom Frisör und die Haut sanft gepflegt aus dem Hammam. Die Brautleute werden unter Trommeln, Fahnen und Wunderkerzen in den gigantischen Hochzeitssaal mit mehreren hundert Plätzen geleitet.

Was ist das wichtigste bei einer Hochzeit in Deutschland? Ein meist opulentes Essen ergänzt durch einen edlen Tropfen. Und in Tunesien? Tanz und Musik. Je lauter desto besser. Gegessen wird daheim. Vor der Feier. Deshalb startet die Fest auch erst um halb elf nachts. Dann aber richtig. Ohne lange Aufwärmphase geht es los. Begleitet von moderner arabischer Musik stürmen die Gäste die Tanzfläche. Ich entdecke das Geheimnis der Bewegungen des Bauchtanzes: Es ist wie bei den Kubanern mit Salsa: Schon die kleinsten Kinder bewegen hier ihre Hüften, wovon unsereins nur träumen kann! Alle singen, klatschen und tanzen. Ohne Unterbrechung. Ohne Hemmungen. - Ohne Alkohol.


Eigentlich wollten wir uns in guter Barcelona-Tradition am Strand ausschlafen. Doch leider hatten wir die Badetücher ja als Bettlaken umfunktionieren müssen und die am Strand vermieten Liegestühle waren mehr Stühle als Liege. In einem langen Strandspaziergang lernen wir nun die Küste kennen (die nicht mit Barcelona konkurrieren kann) sowie die Luxus-Hotels. Uns fällt ein Stein vom Herzen. Sind wir froh, dass wir hier nichts gebucht haben! Unser Wohnheim war die bessere Wahl: Die persöhnliche Atmosphäre, die gute Lage mitten in Tunis mit Tramhaltestelle und Café für unser Frühstück gleich ums Eck lassen uns mit dem fehlenden Wohlstand versöhnen. Und nicht zu vergessen, der unschlagbare Preis: 65 Euro insgesamt für 6 Nächte! Für das Zimmer, versteht sich, incl. Küchenbenutzung und Flughafentransfer!

Donnerstag, 31. Juli 2008

Bonjour und As-salam - Tunesien Teil 2

TR - Die Sonnenstrahlen kitzeln uns wach. Gestern Mückenattacken heute nun Hummeln. Zum Glück nicht im Zimmer, sondern im Hintern! Auf, auf! Es gibt viel zu sehen!

Wir schlendern durch die Markthallen und beim Anblick der Auslagen läuft uns das Wasser im Munde zusammen. Die Fische sind ultra-frisch und zum Beweis öffnen die Händler die Kiemendeckel. Die Käsetheke duftet nach Urlaub und die eingelegten Oliven machen Lust auf Orient.

Ein Menschenstrom treibt uns durch das Gewirr der Gassen mit den verschiedenen Bazaren, den Souks. Lederwaren-Souk, Keramik-Souk, Schmuck-Souk. Jede Gasse hat sich spezialisiert. Wir tauchen ein. Hier nur Stoffe, dort nur Küchengeräte und, was ist denn das für eine Gasse? Der Hochzeitsdekorations-Souk! Geschenkbänder, Stoff-Rosen und Papiertischdecken in Hülle und Fülle.

Nach soviel Kommerz lockt uns die Kunst. Im Musée de Bardo, dem wichtigsten Museum Tunesiens bestaunen wir gigantische Mosaiken und Skulpturen aus vorchristlicher Zeit. Die perfekte Vorbereitung für das antike Karthago.

Abends: Das Männer-Fest. Wir lassen uns das selbstgemachte, in Alufolie mit Rosmarinzweigen gegarte, butterzarte Fleisch mit den exotischen Beilagen auf der Zunge zergehen. Die Band beginnt zu spielen, doch wir sitzen direkt neben der Box und der Dudelsack putzt uns die Ohren durch. Fast taub fliehen wir nach draußen, in den Vorhof. Hier haben sich die Männer versammelt. Die Frauen, die seltsamerweise in der Überzahl sind, okkupieren den Innenhof. Hier draussen fließt Bier und Wein. Die ganze Feier entwickelt sich zu einer Party im westlichen Stil. Nur die teils mit Kopftuch bedeckten Frauen, die arabischen Klänge und der Bauchtanz der Frauen wie Männer zeigt uns, dass wir in einer anderen Welt sind. Jörg raucht seine ersten Züge an der Wasserpfeife ("Da kommt ja gar nichts raus") und erzählt einem ausreisewilligen Tunesier, er sei von der deutschen Botschaft und könne ihm ein Visum erteilen...

Am Morgen danach benötigen wir einen extra starken Kaffee. Der Nahverkehrszug rattert den Deich entlang. Hinter uns liegt die bezaubernde Bucht von Tunis, vor uns Karthago. Wir besichtigen alle Ausgrabungen, die Mittagshitze kann uns nichts anhaben. Bei den meisten Stätten sind wir allein. Nur an der riesigen Hauptausgrabung sitzen die Touristengrüppchen stöhnend im Schatten. Wir genießen die Weite und Größe der Anlage, lassen unserer Fantasie, angeregt durch die Inspirationen des Museums freien Lauf und versetzen uns in die Zeit Julius Cesars zurück. Wir wandeln durch die römischen Therme und spüren die Hitze der antiken Sauna auf der Haut. Nur der Sprung ist kalte Becken des Frigidariums bleibt uns leider verwehrt: es sind nur zwei imposante Säulen erhalten.Ich kann nicht genug bekommen. "Schau mal, Jörg: Hast Du das gesehen? Hier kann man sogar noch die Schrift lesen!?" Irgendwann braucht aber auch Jörg eine Pause, doch meine Passion ist noch nicht gestillt, ein paar Steine habe ich noch nicht gesehen. Vielleicht hätte ich Archäologie studieren sollen???

Wir kehren zurück in die Neuzeit. Nach Sidi Bou Said, dem blau-weissen Städtchen auf dem Hügel, das eine frappierende Ähnlichkeit mit den griechischen Kykladen-Inseln aufweist. Nichtsdestotrotz sehr sehenswert, was leider auch Heerscharen von Touristen wissen.

Mittwoch, 30. Juli 2008

Ein unwiderstehlicher Mix - Tunesien Teil 1

TR - Unter uns funkelt das Lichtermeer einer der ältesten mediterranen Städte und eine der für uns attraktivsten Metropolen der Welt. Wir befinden uns im Anflug auf Tunis, des Geburtsortes nicht nur Roberto Blancos und Claudia Cardinales, sondern auch die kulturelle Wiege unseres Freundes Hedi. Vor uns liegt eine unwiderstehliche Mischung aus orientalischer Kultur und westlichem Wohlstand sowie ein für uns aussergewöhnlicher Event: Eine tunesische Hochzeit!

Bis zuletzt waren wir unschlüssig, ob wir die Reise antreten sollen. Nicht gewillt ein paar hundert Euro für einen Kurztrip auszugeben. Ich ließ nicht locker und im günstige Flüge auftreiben bin ich ja quasi Profi :-) …Glück gehabt! Schnäppchen gemacht! Fehlte nur das Hotel. Vielleicht ein schönes 3 oder 4 Sterne Hotel? Doch eh ich mich versehe ist es 2 Tage vor Abflug und wir sitzen immer noch auf der Strasse. Das billigste Zimmer kostet 106 €. Für ein 5* Hotel ein super Deal, nur leider völlig jenseits unseres Budgets. Also buche ich in meiner Not ein Zimmer in einem Mädchen-Wohnheim, verschweige Jörg die Details. Am nächsten Abend wird mein Koffer-Packen durch einen Schrei des Entsetzens jäh unterbrochen „Hast Du Dir die Website genau angeschaut?“ fragt er mich wütend. „Da steht: Douches et toilettes communes par étage.“ Oh, Mist, Gemeinschaftsbad! Sorry, es war mir zu mühsam mich durch die französischen Seiten zu kämpfen. „Na, toll. Außerdem: Die listen alles auf, was es in den Zimmern gibt: Stuhl, Tisch, Lampe, aber schreiben nichts von Ventilator!“ „Also, Jörg, das halte ich für ausgeschlossen. Selbst in der billigsten indischen Unterkunft gab es einen Ventilator...“

Am Flughafen werden wir von hunderten Tunesier empfangen, nur Walid, der Hausherr des Wohnheims lässt sich nicht blicken. Er müsste uns erkennen, denn (sicherheitshalber) habe ich ihm ein Foto von uns gesendet (auf dem Jörg unschwer als Mann zu erkennen ist).

Walid entdeckt uns und bringt uns über leergefegte Schleichwege zum Wohnheim. Mir fällt ein Stein vom Herzen: das Zimmer hat ein Bad! Nur, leider gibt es keine Bettwäsche und - keinen Ventilator! Die Nacht wird zur Hölle. Wir tun kein Auge zu, es ist unerträglich heiss, die Mücken fressen uns und mich plagt das schlechte Gewissen.

Am nächsten Abend werden wir mit Hedi und ein paar Freunden ausgehen. Eigentlich dachte ich, dass das Henna-Fest der Frauen sei, aber na gut, Tunesier sind wohl flexibel. Ist mir auch recht, denn so kann ich schon mal ungezwungen abchecken, wie die Mädels sich hier so kleiden. Ich ziehe also meine lockeren Urlaubsklamotten an.

Wir treffen Hedi im Haus seiner Familie und er erzählt uns, dass heute Henna-Fest sei. So ein Ärger! Extra habe ich mir noch einen Rock für diesen Anlass gekauft, nun liegt er in der Unterkunft und ich hier mit dieser Schlabberhose!

Diverse weibliche Verwandte holen uns ab und mir stockt der Atem. Das darf nicht wahr sein! Eine herausgeputzter als die andere! Elegante fließende Stoffe mit Glitzer und Glimmer. Die Haare aufgestylt und die Gesichter perfekt geschminkt. Und ich daneben völlig under-dressed. Ich komme mir vor wie das hässliche Entlein und würde am liebsten im Erdboden versinken! „Jörg, was die mangelhafte Info betrifft – wir sind quitt! Ich mit der Unterkunft, Du mit der Feier!“ Über 20 Um- und Irrwege werden wir im Autokorso zum Haus der Feier kutschiert. Rund 200 weibliche Gäste warten im Innenhof und eine attraktiver als die andere. Rampenlicht perfekt, wir dürfen in die erste Reihe!

Der Abend ist den Frauen reserviert. Männer, ausser Jörg und den Vätern des Brautpaares sind nicht erwünscht. Auch der Bräutigam hat hier eigentlich nichts zu suchen. Aber, da unser Bräutigam nur optisch ein Tunesier und sonst eher ein Ur-Münchner ist, gesellt er sich ab und zu unter die Frauen, und kann sich im Übrigen auch für die Henna-Bemalung nicht begeistern, weshalb dieser Part des Abends ausfällt. Die Braut sitzt im Blitzlichtgewitter auf einer Art Thron, wird begrüßt, bewundert und mit edlem Brautschmuck beschenkt und behängt.

Die eleganten Damen tanzen mit Hüftschwüngen zu orientalischen Klängen, es wird im Takt geklatscht und immer wieder hören wir Jubelgeträller, was entfernt an Indianergeschrei erinnert. Das Geheimnis der Bewegungen als auch des Geträllers bleibt uns verborgen.


Zwischendurch werden Säfte und exquisite süße Stückchen serviert. Irgendwann wird Jörg auch auf die Tanzfläche gezogen. Plötzlich, für uns völlig unvermittelt, ist das Fest vorbei und fast alle brechen auf.

Die zweite Nacht schlafen wir besser. Wir haben uns an die Hitze akklimatisiert (es ist auch nicht heißer als zu Hause) und schlummern voller Eindrücke in die Träume. Wir freuen uns schon auf die nächsten Feiern, denn in Tunesien dauert eine Hochzeit immer mehrere Tage....

Montag, 14. April 2008

Durch Südindien mit dem Rucksack

Indien – für viele ein magisch-anziehendes Land, für andere der blanke Horror. Wir wollten uns endlich ein eigenes Bild machen und reisten für 4 Wochen mit dem Rucksack durch Südindien.


Indien ist halb so wild wie befürchtet. Klar, wir kennen von Indien „nur“ die rund 3000 zurückgelegten Kilometer. Alle Regionen nördlich von Bombay kennen wir nicht. Aber all die negativen Dinge, auf die wir uns aufgrund von Reiseberichten anderer und der Lektüre von insgesamt sechs Büchern eingestellt hatten, haben wir weder gesehen noch erlebt. Im Gegenteil. Der Kulturschock blieb (leider?) aus.

So seltsam es klingt: nie zuvor habe ich mich auf einer Reise so entspannt! Einer der Hauptgründe war mit Sicherheit die Ruhe. Ruhe? Ist Indien nicht Lärm pur? Wir bahnen uns durch den Straßendreck, an Plastiktüten-fressenden heiligen Kühen vorbei, eingehüllt in einer Wolke aus diesigem Smog. Millionen von Menschen, alle gleichzeitig unterwegs und immer on the road. Ein irrer Verkehr. Alle und alles kreuz und quer ohne jegliche Regeln und mit einer unvorstellbaren Geräuschkulisse aus knatternden Zweitaktern, dröhnenden, wummernden LKWs und stakkato-hupenden Autorikschas. Im Gegensatz zu Deutschland klebt nicht etwa „Baby an Bord“ auf der Rückseite der Fahrzeuge, nein, viel wichtiger: die unüberhörbare Aufforderung, der alle non-stop nachkommen: SOUND HORN! Doch: im ganz großen Unterschied zu Spanien: Ab 22 Uhr werden UEBERRALL auch in Großstädten mit einer Millionen Einwohnern die Bürgersteige hochgeklappt und es herrscht Grabesruhe. Wie erholsam! 4 Wochen lang jede Nacht durchschlafen zu können!!!!

Die Inder sind ein lustiges Völkchen: Die täglich wiederkehrende Show „Wir sind berühmte Stars aus dem Westen“ erleben wir gleich am ersten Nachmittag. Wir versuchen gerade dem Straßenlärm in Bangalore in einem Stadtpark zu entfliehen, als wir von einer Gruppe junger Inder gesichtet werden. „Where are you from? Picture, please!“ Binnen Sekunden sind wir umringt, umzingelt und eingekesselt von etwa 15 indischen Studenten, von denen jeder ein Foto fordert, mit sich, uns und allen, versteht sich. Wir posieren stoisch lächelnd. 4 Wochen später sind wir mit Sicherheit in nahezu allen Fotoalben Indiens verewigt (und wer weiss, wo wir im Internet überall auftauchen…).


Wenn die Leute keine Kamera greifbar haben, kommt das Fotohandy zum Einsatz. Sofern gar nichts dabei ist, erfolgt die Kontaktaufnahme so: Hello, what`s your name? Where you frrrom? Auf unsere Antworten kommt meist ein Kichern und damit hat sich der Englischwortschatz und die Konversation erschöpft. Aber alle sind glücklich.

Nach zwei Tagen in Mysore (traumhaft lohnenswerter Palast!) und einem Tag Relaxing in einer Ayurveda-Klinik bereisen wir den südlichsten Bundesstaat Kerala.


Der Staat wird seit über 50 Jahren kommunistisch regiert und die Leute wissen, warum sie bei den (freien) Wahlen für die Fortsetzung der Regierungsarbeit stimmen: Der Staat hat das höchste Bildungsniveau, die höchste Lebenserwartung und die geringste Kindersterblichkeit in ganz Indien.
Auch die Landschaft hier ist anders als der Rest Indiens: Ein dichtes Netz aus breiten Flüssen, glänzenden Kanälen und dunkel-dreckigen Lagunen windet sich vorbei an saftig-grünen Plantagen. Zu Recht spricht man hier auch vom Venedig Asiens. Vermutlich könnte die Gegend ganz nett sein, doch leider ist es nicht nur unvorstellbar heiss und stickig, sondern der Himmel mit tiefen Wolken verhangen. Dennoch (wenn man schon mal hier ist…) mieten wir uns für 24 Stunden ein riesiges Hausboot, mit dem wir allein mit der 3-köpfigen Crew aus Kapitän, Koch und Maschinist durch die Kanäle tuckern. Abends und nachts schüttet es aus Eimern.


Nach 10 Tagen Regen fliehen wir von Trivandrum gen Norden. Wir liegen auf unseren schmutzig-blauen Pritschen im Nachtzug der Sleeper-Class und versuchen etwas Schlaf zu finden. Mit lautem, völlig unmelodischem, schiefem Summen übertönt der junge Typ auf der Liege über mir nahezu das röchelnde Schnarchen des Alten gegenüber und gibt damit eine weitere amüsante Eigenart der Inder zum Besten: Die berühmten Walkman-Singers! Aber, Oropax wirkt. Nur leider nicht gegen den Anblick der Kakerlake, die gerade 10cm entfernt von meiner Nase die Wand entlang saust! Die Sleeper-Großraumwägen sind die Liegewagen für die breite Bevölkerung. Klar, es gibt auch „bessere“ Klassen. Die unterscheiden sich im Wesentlichen aber nur durch den hohen Preis und die Temperatur. Zweimal hatten wir Pech, die Sleeper-Klasse war bereits ausgebucht und wir mussten im Air Conditioning-Waggon mit Jacke und eingewickelt in die ausgeteilten Decken zitternd bis zur Ankunft verharren.

Endlich, die Ankunft in Calicut. Hier hält sich nur selten ein Tourist auf. Sämtliche Augen heften sich auf uns. Allerorten werden wir angestarrt. Wir kommen uns vor, als hätten wir grüne Gesichter und Antennen auf dem Kopf. Aber, die Sonne lacht: ein gutes Omen für zwei Tage Nationalpark. Klappernd kriecht der völlig überladene Bus die Serpentinen hinauf in die Bergwelt. Wir haben wirklich Glück. Nicht nur, dass das Wetter endlich mitspielt und wir die angenehme Erfrischung mit (nur) knapp 30 Grad genießen, sondern, vor allem, dass die Tierwelt sich blicken lässt. Neben verschiedenster Arten von Rotwild, Gnus, Affen, Giant-Squirrels, Pfauen und anderem Federvieh entdecken wir plötzlich im Dickicht ein graues Riesen-Schlappohr. Ein Rüssel schnaubt in unsere Richtung und unser Fahrer des Jeeps wird sichtbar nervös. Mit entsprechendem Sicherheitsabstand halten wir an. Aussteigen streng verboten. Und auf einmal kreuzt eine Elefantenfamilie mit Baby unseren Weg. Wow. Andächtig beobachten wir das Schauspiel.

Der Ventilator über unserem Bett wirbelt auf höchster Stufe und lässt sich nicht runterregulieren. Nicht nur, dass ich wegen des Luftzugs den Schlafsack über meine Ohren ziehe, nein ich versuche auch nicht hinzuhören, wie sich der Inder neben unserem Bett stundenlang die Seele aus dem Leib kotzt. Der arme Kerl. Zum Glück haben wir ihn durch die Pappwand zum Nachbarzimmer nicht gesehen. Nach zwei schlaflosen Nächten und einer erschöpfenden Wanderung streckt es auch mich dahin. Zurück in Calicut legen wir eine 2-tägige Zwangspause wegen 39 Grad Fiebers ein.

26 Stunden Zugfahrt weiter im Norden erwartet uns ein erneuter, diesmal gar nicht so unangenehmer Zwangsstopp. Wir verbringen einen Sonnentag an der Küste Goas, schlendern den weissen Sandstrand entlang und beobachten die Fischer bei der Arbeit.

Jörg geniesst das pseudo-indische Essen, endlich gibt es was zum Kauen, anstatt des sonst üblichen Gemüsepürees. Wir bestellen extra-scharfes Masala, doch hier ist man zu sehr an den ausländischen Gaumen angepasst. Wo ist die scharfe Sauce aus Chilli und Bethelnuss? Alles schmeckt in Goa irgendwie fad.

Der Anschlusszug einen Tag später bringt uns ins Landesinnere nach Hampi, UNESCO Weltkulturerbe und einer der Höhepunkte jeder Südindien-Reise.


So weit das Auge reicht eine zauberhafte Märchen-Landschaft aus Felsen, Feldern und Flüssen gesprenkelt mit tausenden hinduistischen Tempeln. Hier könnte man locker eine Woche verbringen, doch leider drängt die Zeit. Wir wollen noch ein anderes Highlight sehen: Nasik.
Nasik ist eine der heiligen Städte, in der alle 12 Jahre der größte religiöse Menschenauflauf der Erde stattfindet: Die Kumbh Mela mit unzähligen Millionen Pilgern. An einem normalen Tag ist der Ort vergleichbar mit Varanasi/Benares, DER heiligen Stadt am Ganges, von der ihr vielleicht schon gehört habt. Auch hier, in Nasik liegt der monotone Gesang der betenden Mönche in der Luft und vermischt sich mit allerlei seltsamen Gerüchen. Hunderte fromme Pilger reinigen im verseuchten Wasser ihre Seelen und hier Sterbende gelangen direkt ohne Umwege von Wiedergeburten ins Nirwana. Sadhus, die streng asketisch lebenden hinduistischen Mönche, bewachen die Tempel oder meditieren in kleinen Kapellen. Was hier -wohl im Gegensatz zu Varanasi- fehlt, sind der Gestank und die Touristen-Abzocke.
Klar, wir sind hier allein. Wie in fast allen der von uns aufgesuchten Städte begegnen wir pro Tag nur einem anderen weißen Touristen. Hier sind die Inder noch nicht von den negativen Auswirkungen des Tourismus verdorben, drängen einem weder ungefragte Führungen noch Andenken auf und verlangen korrekte Preise. Allerdings, keine Abzocke heisst natürlich auch Feilschen bis zum Umfallen, was vielen westlichen Touristen vielleicht zu mühsam oder weil sie denken, „Nur ein Euro für das Taxi, wie billig!“ Dass sie aber in Wirklichkeit den vielfachen Preis zahlen und damit zu einer Verstärkung der sozialen Ungerechtigkeit beitragen und dazu die Preise für Touristen versauen ist ihnen nicht bewusst. Wir ziehen es daher immer vor, touristisch hochfrequentierte Orte zu meiden und uns „off the beaten track“ zu bewegen. Dank Lonely Planet wussten wir, was alles kosten durfte. Und da in Indien ja Zeit NICHT Geld bedeutet, kann so eine Diskussion um eine 15-minütige Taxifahrt durchaus 15 Minuten dauern....

Unser Fazit:
Wenn man noch nie in einem Entwicklungsland gereist ist, oder gar die Indienreise, die erste Erfahrung ausserhalb Europas ist, kommt leicht ein Schock auf. In unseren Landen verbindet man mit Indien eher Attribute eines Schwellen- oder gar Industriestaates. High-tech-Computerindustrie, Atombombe etc. Aber, und das ist wahrscheinlich vielen nicht bewusst (war es uns auch nicht) Indien ist ein Entwicklungsland, welches unglaublich viel gemeisam hat mit Afrika und Südamerika. Indien ist eine Frage der persönlichen Wahrnehmung basierend auf den Erfahrungen und Erlebnissen, die man VOR der Indienreise gesammelt hat.

Also, wenn Ihr Lust auf Indien habt, aber vor den negativen Eindruecken zurueckschreckt: fahrt nach Südindien!