Donnerstag, 14. Oktober 2010

Rebellion gegen Reformen

Der 29. September sollte der Tag der Gewerkschaften werden. Ein Tag, der in die Geschichte eingeht. Ein Tag der sichtbaren Rebellion gegen die angekündigten Reformen der spanischen Regierung. Einen Tag lang sollte das Land still stehen. Generalstreik!

Doch am Morgen des “29-S” weckt mich der übliche Straßenverkehrslärm, der durch die nicht-isolierten Fenster unserer Wohnung dringt. Ich hatte mich auf eine angenehme Stille gefreut, wie ich sie während des Ferienmonats Augusts genossen hatte, als das ganze Land sich im Jahresurlaub befand. Doch an diesem Morgen wies wenig darauf hin, dass dies kein normaler Arbeitstag sein sollte.

Kurz vor dem Streiktag hatten die Gewerkschaftsführer einen “Mindestbetrieb” von öffentlichen Verkehrmitteln zu den Hauptverkehrszeiten zugesagt. Zur Rush Hour sollten zumindest 25% des öffentlichen Nahverkehrs in Betrieb sein. Dies bedeutete in Barcelona, dass die U-Bahn im Acht- bis Zehnminuten-Takt fahren würde. Im Vergleich zum üblichen morgendlichen Takt anderer europäischer Städten immer noch eine hohe Frequenz, über die man sich in anderen Städten freuen würde.

Ich mache mich ein klein wenig früher auf den Arbeitsweg als sonst. Die Metro kommt nach ein paar Minuten und erstaunt erblicke ich die gleichen Gesichter, denen ich allmorgendlich begegne. In Badalonas Gewerbegebiet gehe ich vorbei an geschlossenen Werktoren, hinter denen jedoch die üblichen Produktionsgeräusche zu vernehmen sind. Geschlossene aber nicht verschlossene Restauranttüren, keine Tafeln mit der Tageskarte vor der Tür, doch bei näherem Hinsehen sitzen die Gäste dennoch an den Tresen und schlürfen ihren morgendlichen Kaffee.

Fast alle meiner Kollegen sind zur Arbeit gekommen. Manche argumentierten, dass sie es sich aus ökonomischen Gründen nicht leisten könnten einen Tag Gehalt zu verlieren, andere empfanden den Streik als ein ungeeignetes Mittel gegen den Reformkurs. Doch die Angst vor Streikposten, die die Arbeitenden notfalls gewaltsam von der Arbeit abhalten könnten, ist groß. Man arbeitet, aber möglichst unauffällig. Viele haben Freizeitkleidung statt Arbeitskleidung angelegt. Unser Chef stellt sein Auto im Lager unter.

Am frühen Abend, auf dem Heimweg, hat selbst die Heimlichtuerei ein Ende. Ich komme aus der Metro und alle Geschäfte haben wieder normal geöffnet. Supermarkt, Bäcker, Drogerie, Bars und Restaurants, sogar der Frisör und der Immobilienmakler.

Die Gewerkschaften haben verloren. Dies ist ein Erfolg für Ministerpräsidenten Zapatero und sein Sparprogramm. Aber es ist noch mehr: es ist auch ein Symbol für den Willen des Aufschwungs. Das breite Volk hat sich nicht hinter dem Gewerkschaftsaufruf “Und alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will!” versteckt. Das Verständnis für die angekündigten Maßnahmen der Regierung ist doch größer als erwartet.